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Zugang einer E-Mail

Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21).

Anmerkung:
In der heutigen Zeit wird die postalische Korrespondenz mit Brief immer mehr durch E-Mail-Nachrichten abgelöst. Auch die Kommunikation unter Behörden, den Gerichten und Rechtsanwälten wird im Lichte des § 130 d ZPO immer mehr digitalisiert.  Nun durfte sich der BGH wieder zu einem Thema der digitalen Nachrichten beschäftigen.

Sachverhalt
„Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 7.825,94 €. Mit Vertrag vom 19. August 2016 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Erbringung von Metallbau- und Fassadenbegrünungsarbeiten am Bauvorhaben M. in B. Nach Ausführung der Arbeiten rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Betrag in Höhe von 254.335,77 € netto ab. Die Beklagte sandte der Klägerin eine Abrechnungsvereinbarung zu und wies als Schlusszahlung einen Betrag in Höhe von 14.538,36 € an. Wegen von der Beklagten vorgenommener Kürzungen an abgerechneten Nachtragspositionen widersprach die Klägerin der Schlusszahlung und forderte die Beklagte mit Schreiben vom 27. November 2018 zu einer weiteren Zahlung in Höhe von 14.347,23 € nebst Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € auf. Die Beklagte bot der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Zahlung in dieser Höhe zur Erledigung der Angelegenheit an.
Die Klägerin antwortete mit E-Mail ihres anwaltlichen Vertreters vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, die Forderung aus der Schlussrechnung belaufe sich mit Ausnahme des Sicherheitseinbehalts noch auf 14.347,23 €. Eine weitere Forderung werde nicht erhoben. Ferner sei der geltend gemachte Verzugsschaden in Höhe der Anwaltskosten zahlbar und fällig. Mit weiterer E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:56 Uhr, erklärten die anwaltlichen Vertreter der Klägerin gegenüber der Beklagten, eine abschließende Prüfung der Forderungshöhe durch die Klägerin sei noch nicht erfolgt; die E-Mail von 9:19 Uhr müsse daher unberücksichtigt bleiben. Sie könnten derzeit nicht bestätigen, dass mit Zahlung des in dem Schreiben angeforderten Betrags keine weiteren Forderungen erhoben würden.
Unter dem 17. Dezember 2018 legte die Klägerin eine Schlussrechnung über eine Restforderung in Höhe von 22.173,17 €. Die Beklagte überwies an die Klägerin am 21. Dezember 2018 einen Betrag von 14.347,23 € auf die Hauptforderung sowie weitere 1.029,35 € auf die Rechtsanwaltskosten. Mit der Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag in Höhe von 7.825,94 € geltend.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt hat, hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchte die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten entsprechend ihrem Klageantrag erreichen.“

Entscheidungsgründe
„(…) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Restwerklohnanspruch nicht zusteht. Mit der von der Beklagten am 21. Dezember 2018 bewirkten Zahlung in Höhe von insgesamt 15.376,58 € (14.347,23 € + 1.029,35 €) ist zwischen den Parteien ein Vergleich des Inhalts wirksam zustande gekommen, dass damit weitere Forderungen der Klägerin aus dem Vertrag der Parteien vom 19. August 2016 erloschen sind.
Die Klägerin hat der Beklagten mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, wovon das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgegangen ist, ein wirksames Angebot auf Abschluss eines Vergleichs im Sinne des § 779 BGB mit dem Inhalt unterbreitet, dass weitere Forderungen nicht erhoben würden, wenn die Beklagte einen restlichen Werklohn in Höhe von 14.347,23 € und den Verzugsschaden in Höhe der Rechtsanwaltskosten, die sich unstreitig auf 1.029,35 € belaufen, zahlt. Die Beklagte hat dieses Angebot durch die von ihr am 21. Dezember 2018 zur Anweisung gebrachte Zahlung in Höhe von insgesamt 15.376,58 € (14.347,23 € + 1.029,35 €) wirksam gemäß § 147 Abs. 2 BGB angenommen.
Die Klägerin war an das mit E-Mail ihrer anwaltlichen Vertreter vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, unterbreitete Angebot gemäß § 145 BGB gebunden, als dieses von der Beklagten mit der am 21. Dezember 2018 bewirkten Zahlung stillschweigend angenommen worden ist. Danach ist derjenige, der einem anderen die Schließung eines Vertrags anträgt, an den Antrag gebunden, es sei denn, dass er die Gebundenheit ausgeschlossen hat. Für letzteres ist nichts ersichtlich. Die Klägerin macht nicht geltend, dass der Antrag auf Abschluss des Vergleichs ohne Rechtsbindungswillen erfolgt ist.
Das Angebot der Klägerin mit E-Mail vom 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, auf Abschluss eines Vergleichs ist der Beklagten zu diesem Zeitpunkt gemäß § 130 Abs. 1 BGB wirksam zugegangen. Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. Februar 2019 - IX ZR 181/17 Rn. 11, NJW 2019, 1151; Urteil vom 8. Januar 2014 - IV ZR 206/13 Rn. 8, NJW 2014, 1010; Beschluss vom 21. Juni 2011 - II ZB 15/10 Rn. 15, NJW-RR 2011, 1184). Wann eine E-Mail als zugegangen gilt, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

(1) Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 15. März 2012 - Verg 2/12, NZBau 2012, 460, juris Rn. 50; LG Hamburg, Urteil vom 7. Juli 2009 - 312 O 142/09, MMR 2010, 654, juris Rn. 19; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum E-Commerce, 2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Hoeren/Sieber/Holznagel/Kitz, Handbuch Multimedia-Recht, Teil 13.1 Rn. 101; MünchKommBGB/Einsele, 9. Aufl., § 130 Rn. 18 f.; Wertenbruch, JuS 2020, 481, 485; Herwig, MMR 2001, 145, 146; Taupitz/Kritter, JuS 1999, 839, 842; Heun, CR 1994, 595, 598). Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juli 2011 - 24 U 186/10, juris Rn. 33 ff.; AG Meldorf, Urteil vom 29. März 2011 - 81 C 1601/10, NJW 2011, 2890, juris Rn. 20 ff.; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl., § 130 Rn. 7a; Bierekoven in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl., § 26 E-Commerce und Fernabsatzrecht Rn. 24; Holzbach/Süßenberger in Moritz/Dreier, Rechts-Handbuch zum E-Commerce, 2. Aufl., Abschnitt C Rn. 169; Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008).

(2) Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist (vgl. Härting, Internetrecht, 6. Aufl. Rn. 681; Köhler/Fetzer, Recht des Internet, 8. Aufl. Rn. 181; Redeker, IT-Recht, 7. Aufl. Rn. 926; Thalmair, NJW 2011, 14, 16; Ultsch, NJW 1997, 3007, 3008; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 228; Glatt, ZUM 2001, 390, 394; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 1. September 2022 § 130 Rn. 75; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 7. Mai 2002 - 2HK O 9434/01, NJW-RR 2002, 1721, juris Rn. 35).

(3) Der Streitfall gibt keinen Anlass, die Rechtsfrage umfassend zu entscheiden. Jedenfalls für den nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts gegebenen Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit ist die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.

Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver ist jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen (vgl. zum technischen Ablauf: Härting, Internetrecht, 6. Aufl., Rn. 671; Redeker, IT-Recht, 7. Aufl. Rn. 925; Krüger/Bütter, WM 2001, 221, 227).
Der mit E-Mail der Klägerin vom 14. Dezember 2018, 9:56 Uhr, erklärte Widerruf des Vergleichsangebots war verspätet. Da das Vergleichsangebot der Klägerin der Beklagten am 14. Dezember 2018, 9:19 Uhr, und damit innerhalb üblicher Geschäftszeiten wirksam zugegangen war, konnte die Klägerin dieses um 9:56 Uhr nicht mehr gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB wirksam widerrufen.
Die mit der am 21. Dezember 2018 geleisteten Zahlung in Höhe von 15.376,58 € erfolgte konkludente Annahme des Angebots seitens der Beklagten ist rechtzeitig gewesen. Eine Annahmefrist im Sinne des § 148 BGB ist von der Klägerin unstreitig nicht bestimmt worden. Gemäß § 147 Abs. 2 BGB kann der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Das Berufungsgericht hat angenommen, nach den gegebenen Umständen sei mit einer Antwort der Beklagten binnen einer Frist von zwei Wochen zu rechnen gewesen. Diese sei durch die binnen sieben Tagen erfolgte Zahlung der Beklagten, der ein Annahmewille zu entnehmen sei, gewahrt worden. Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.“

Resümee
Der BGH positioniert sich zur Rechtsfrage, wann eine E-Mail als zugegangen gilt, zwar nicht umfassend. Zumindest für Sachverhalte wie dem entschiedenen Fall hat er nun für Rechtssicherheit gesorgt. Der Umgang mit der Digitalisierung im rechtsgeschäftlichen Verkehr bleibt also weiterhin spannend.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21

28.01.2023, 10:00
Kategorien: Veröffentlichungen