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Unpfändbarkeit von Pflegegeld

Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld ist unpfändbar (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2022 – IX ZB 12/22).Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld ist unpfändbar (BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2022 – IX ZB 12/22).

Anmerkung:
Immer wieder stellt sich in der täglichen Praxis bei der Bearbeitung von Insolvenzverfahren die Frage der Pfändbarkeit einzelner an den/die SchuldnerIn fließender Leistungen, auch hinsichtlich des Pflegegelds.

Sachverhalt
„Der weitere Beteiligte zu 1 (fortan: weiterer Beteiligter) ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Er hat beantragt, bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens das Arbeitseinkommen mit dem Pflegegeld zusammenzurechnen, welches die Schuldnerin für die Versorgung des bei ihr wohnenden autistischen Sohnes erhält. Der Antrag ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde will der weitere Beteiligte weiterhin erreichen, dass das Arbeitseinkommen der Schuldnerin und das Pflegegeld bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens zusammengerechnet werden.“

Entscheidungsgründe
„Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Frage einer Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens der Schuldnerin und des Pflegegeldes sei nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850e ZPO zu beurteilen. Gemäß § 850e Nr. 2a Satz 1 ZPO seien Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch dann mit Arbeitseinkommen zusammenzurechnen, wenn sie pfändbar seien. Gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I seien Sozialleistungen unpfändbar, die zum Ausgleich körper- oder gesundheitsbedingten Mehrbedarfs bestimmt seien. Das gelte auch für das Pflegegeld nach § 37 SGB XI.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
Gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, nicht zur Insolvenzmasse. Das gilt auch für Arbeitseinkommen und sonstiges Einkommen des Schuldners, das nicht der Pfändung unterworfen ist. Der Pfändungsschutz richtet sich nach den in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO in Bezug genommenen Pfändungsschutzvorschriften der Zivilprozessordnung. Anwendbar ist auch die Vorschrift des § 850e ZPO, nach welcher bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens auf Antrag mehrere Arbeitseinkommen zusammen zu rechnen sind. Antragsberechtigt ist der Insolvenzverwalter (§ 36 Abs. 4 Satz 2 InsO); zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist das Insolvenzgericht (§ 36 Abs. 4 Satz 1 InsO).Die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung gemäß oder entsprechend § 850e Nr. 2, 2a ZPO sind jedoch nicht erfüllt.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen stellt das Pflegegeld, welches die Schuldnerin bezieht, allerdings keine den Pfändungsschutzvorschriften des § 54 SGB I unterfallende Sozialleistung dar.

  1. Die Schuldnerin selbst ist nicht pflegebedürftig. Pflegebedürftig im Sinne des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können (vgl. § 14 SGB XI). Dies trifft auf den Sohn der Schuldnerin zu, nicht auf die Schuldnerin. Nur der Sohn der Schuldnerin bezieht Leistungen der Pflegeversicherung, die ihm helfen sollen, trotz seines Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Das Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI steht dem Pflegebedürftigen zu. Das ergibt sich hinreichend deutlich aus dem Wortlaut des Gesetzes, in dem es heißt (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI): "Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 können anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen." Es handelt sich um eine Leistung der Pflegeversicherung (vgl. § 28 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI) an den Pflegebedürftigen.
  2. Die Schuldnerin, die ihren pflegebedürftigen Sohn versorgt, ist eine Pflegeperson im Sinne von § 19 SGB XI. Pflegepersonen im Sinne des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung pflegen (vgl. § 19 Satz 1 SGB XI). Das Pflegegeld, welches dem Pflegebedürftigen zusteht, wird an sie weitergeleitet. Gemäß § 13 Abs. 6 Satz 1 SGB XI bleibt Pflegegeld nach § 37 SGB XI, welches an eine Pflegeperson weitergeleitet wird, bei der Ermittlung von Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsverpflichtungen der Pflegeperson grundsätzlich unberücksichtigt. Das heißt im Umkehrschluss, dass es ansonsten keinen besonderen Schutz genießt, sondern den allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung unterfällt.

Das an die Pflegeperson weitergeleitete Pflegegeld gemäß § 37 SGB XI ist jedoch nach § 851 Abs. 1 ZPO, § 399 BGB unpfändbar.

  1. Eine Forderung ist dann nicht übertragbar und damit unpfändbar, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne eine Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Leistung auf höchstpersönlichen Ansprüchen des Berechtigten beruht, die er nur selbst erheben kann, wenn - anders als bei höchstpersönlichen Ansprüchen - ein Gläubigerwechsel zwar rechtlich vorstellbar, das Interesse des Schuldners an der Beibehaltung einer bestimmten Gläubigerperson aber besonders schutzwürdig ist, oder wenn ohne Veränderung des Leistungsinhalts die dem Gläubiger gebührende Leistung mit seiner Person derart verknüpft ist, dass die Leistung an einen anderen Gläubiger als eine andere Leistung erschiene. In allen diesen drei Fallgruppen ist die Abtretbarkeit ausgeschlossen, weil andernfalls die Identität der abgetretenen Forderung nicht gewahrt bliebe (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 72/12, WM 2014, 1141 Rn. 18 mwN; vom 30. April 2020 - VII ZB 82/17, WM 2020, 1166 Rn. 17; vom 10. März 2021 - VII ZB 24/20, BGHZ 229, 94 Rn. 10).
  2. Das Pflegegeld unterfällt der dritten Fallgruppe. Pflegegeld wird gewährt, wenn der Pflegebedürftige in seiner häuslichen Umgebung oder im Haushalt einer Pflegeperson gepflegt wird, und soll die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen stärken, der mit der Geldleistung seine Pflegehilfen selbst gestalten kann (BT-Drucks. 12/5262, S. 112 zu § 33). Das Pflegegeld stellt seiner Konzeption nach kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen dar. Es setzt vielmehr den Pflegebedürftigen in den Stand, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz und Opferbereitschaft im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen. Das Pflegegeld bietet somit einen Anreiz zur Erhaltung der Pflegebereitschaft der Angehörigen, Freunde oder Nachbarn (BT-Drucks. 12/5262, aaO). Der Konzeption des Pflegegeldes liegt der Gedanke zugrunde, dass familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Pflege unentgeltlich erbracht wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2014, 911 Rn. 21). Das Pflegegeld ergänzt sie nur (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI). Es braucht der Höhe nach nicht dem an professionelle Pflegekräfte zu zahlenden Entgelt zu entsprechen (BVerfG, aaO Rn. 23). Ein Vertrag über die häusliche Pflege mit Verwandten oder Verschwägerten des Pflegebedürftigen bis zum dritten Grad sowie mit Personen, die mit dem Pflegebedürftigen in häuslicher Gemeinschaft leben, ist dagegen gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI unzulässig.

Die genannten Ziele des Pflegegeldes, die Autonomie des Pflegebedürftigen zu stärken und einen Anreiz für die Aufnahme und Fortsetzung einer häuslichen Pflege zu schaffen, würden nicht erreicht, wenn das Pflegegeld zwar beim Pflegebedürftigen unpfändbar bliebe, bei der Pflegeperson aber als nach den allgemeinen Vorschriften pfändbares Arbeitseinkommen behandelt würde. Der Pflegebedürftige will die Pflegeperson für ihren Einsatz belohnen, nicht aber deren Gläubiger befriedigen oder in anderer Weise begünstigen. Dieses Interesse ist rechtlich schutzwürdig. Bei dem weitergeleiteten Pflegegeld handelt es sich um eine freiwillige Leistung des Pflegebedürftigen an die Pflegeperson. Diese hat weder gegen den Pflegebedürftigen noch gegen die Pflegekasse (vgl. dazu LSG München, FamRZ 2013, 582, 583) einen Anspruch auf Zahlung oder Weiterleitung von Pflegegeld. Im Falle einer Pfändung durch Gläubiger der Pflegeperson könnte der Pflegebedürftige die Weiterleitung beenden und das Pflegegeld anderweitig einsetzen. Das Pflegegeld stellt keine zweckbezogene Geldleistung dar, die zwangsläufig der Pflegeperson zufließen muss. Der Pflegebedürftige ist folglich in seiner Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes frei (LSG München, aaO). Auch dieser Umstand steht einer Pfändbarkeit des Pflegegeldes entgegen (vgl. hierzu Madaus, NZI 2014, 658 f).“

Resümee
Eine sozialpolitisch begrüßenswerte Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20. Oktober 2022 – IX ZB 12/22

31.01.2023, 09:45
Kategorien: Veröffentlichungen